Koalition und Volksinitiative vereinbaren gute Grundlage für gelingende Inklusion

Koalition und Volksinitiative vereinbaren 20-Punkte-Maßnahmenpaket – Volksentscheid zum Thema Inklusion an Hamburgs Schulen damit abgewendet
Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen haben sich mit der Volksinitiative „Gute Inklusion“ auf einen Kompromiss zur Weiterentwicklung der Inklusion an Hamburgs Schulen verständigt. Gestern Abend stimmten beide Fraktionen dem entsprechenden Antragsentwurf zu (siehe Anlage). Der Kompromiss soll heute in die Bürgerschaft eingebracht und schon morgen im Plenum beraten und abgestimmt werden. Die Volksinitiative wird daraufhin ihr Volksabstimmungsverfahren beenden, ein Volksentscheid zu diesem Thema ist damit abgewendet.
Die wichtigsten Elemente des 20-Punkte-Maßnahmenpakets, die eine Personalverstärkung entsprechend circa 295 Lehrerstellen in der Endstufe bedeuten, sind:

  • Schülerinnen und Schüler mit Behinderung werden verstärkt gefördert. Konkret ist das Ziel, dass rechnerisch ab drei Schülerinnen und Schülern mit Behinderung in einer Klasse in jeder Klassenstufe an staatlichen allgemeinen Schulen eine durchgängige qualifizierte Doppelbesetzung im Unterricht sowie im Ganztag ermöglicht wird. Das bedeutet aufwachsend ab Schuljahr 2018/2019 bis zu 70 zusätzliche Lehrerstellen.
  • Allgemeine Schulen mit mindestens fünf Schülerinnen und Schülern mit Förderschwerpunkt körperlich-motorische Entwicklung erhalten genauso viele Therapie- und Pflegestunden wie die speziellen Sonderschulen. Dieses therapeutische und pflegerische Personal wird ab dem Schuljahresbeginn 2018/19 für alle Jahrgänge zusätzlich eingestellt. Für das Schuljahr 2017/18 ergäbe sich daraus ein Fördervolumen von 18,5 Stellen Physiotherapie, 10,5 Stellen Ergotherapie und 9,5 Stellen SPA für die Pflege – umgerechnet auf Lehrerstellen sind das 24,7 Stellen.
  • Für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache oder emotional-soziale Entwicklung (LSE) wird es aufwachsend ab Schuljahr 2018/2019 und beginnend mit den Klassen VSK, 1 und 5 eine deutliche Personalverstärkung von in der Endstufe 200 Lehrerinnen und Lehrern zusätzlich geben. Zusätzlich zu den gut 800 hierfür eingesetzten bzw. geplanten Lehrerinnen und Lehrern werden dann gut 1000 Lehrkräfte nur im Bereich LSE eingesetzt sein. Dabei wird  an den allgemeinbildenden Schulen eine LSE-Förderquote von 6,0 Prozent in den Klassenstufen VSK-4 und von 8,1 Prozent in den Klassenstufen 5-10 zugrunde gelegt (inkl. ReBBZ). Die Zuweisung erfolgt als systemische, nach Sozialindex gestaffelte Ressource.
  • Vereinbart wurde eine umfassende Bauoffensive Barrierefreiheit, die den aktuellen Rahmenplan Schulbau in einer Weise fortschreiben soll, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre insgesamt mindestens 100 Millionen Euro für barrierefreie Schulen investiert werden. Klar ist: Alle Schulneubauten sind barrierefrei zu planen und zu errichten. Die Planung und die Ausführung größerer Schulbauvorhaben in Neubau und Bestand ab einem Volumen von zwei Millionen Euro sind jeweils mit der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen e.V. (LAG) abzustimmen. Sobald das geplante „Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg“ seine Arbeit aufnimmt, soll dieses in geeigneter Weise in diese Arbeit einbezogen werden. Besonderer Fokus liegt zudem auf dem barrierefreien Umbau des Gebäudebestandes: So ist die Bauoffensive Barrierefreiheit in der Weise auszugestalten, dass vom genannten Gesamtrahmen in den Jahren 2018 bis 2023 insgesamt mindestens 35 Millionen Euro in die Herstellung der Barrierefreiheit im Gebäudebestand (inkl. Außengelände) investiert werden.
  • Vereinbart wurde auch, mehr Raum für gute Inklusion zu schaffen. Im Musterflächenprogramm für alle Schulen mit mindestens 10 Schülerinnen und Schülern mit einer Behinderung soll ein zusätzlicher Flächenbedarf für Pflege, Therapie, Psychomotorik und Gruppenräume von 8 Quadratmetern pro Schüler mit einer Behinderung ab dem 1. August 2018 vorgesehen werden. Auch soll darauf hingewirkt werden, dass an den Schulen mit mindestens 10 Schülerinnen und Schülern mit einer Behinderung und Raumüberhängen das Raumkonzept dahingehend geändert wird, dass pro Kind mit einer Behinderung 8 Quadratmeter für Inklusionsmaßnahmen zur Verfügung stehen.
  • Begleitet wird das 20-Punkte-Paket mit einem jährlichen Inklusions-Monitoring. Nach Umsetzung der dargestellten wesentlichen Verbesserungsschritte im personellen und baulichen Bereich soll der Senat im Jahre 2023 der Bürgerschaft einen zusammenfassenden, vergleichenden und indikatorengestützten Bericht vorlegen.

Die Maßnahmen, die mit einem Kostenvolumen von rund 5 Millionen Euro 2018 starten und bis auf 25 Millionen Euro 2023 steigen, können im Rahmen der anstehenden Änderungen des Finanzrahmens beziehungsweise aus dem Schulbaubudget mit größten Kraftanstrengungen der Koalition gerade noch finanziert werden.
 
Zum Hintergrund:
In Hamburg wurde die Inklusion ab dem Jahr 2012 mit hohen zusätzlichen Ressourcen und einem schlüssigen Förderkonzept umgesetzt. Um im laufenden Schuljahr rund 8.000 Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf gut zu unterstützen, stellt der Senat den allgemeinen Schulen zusätzlich zur normalen Personalressource für jeden einzelnen Schüler noch einmal 1.200 Vollzeit-Lehrerstellen für die direkte Förderung sowie weitere Unterstützungsleistungen im Gegenwert von rund 230 Vollzeit-Lehrerstellen für Schulbegleitungen, Diagnostik und temporäre Lerngruppen zur Verfügung. Damit geht der Senat über die von namhaften Wissenschaftlern geforderten Ressourcen hinaus.
Insgesamt hat der Senat die Zahl der Pädagogen an Hamburgs Schulen von 2010 bis 2016 um über 2.300 Stellen erhöht. Lediglich rund 900 dieser zusätzlichen Stellen waren nötig, um die gestiegenen Schülerzahlen auszugleichen. Rund 1.400 Stellen wurden ausschließlich zur Qualitätsverbesserung eingesetzt: für die Inklusion, zur Verkleinerung der Schulklassen, zur Verbesserung der Unterrichtsvorbereitung für Lehrkräfte an Stadtteilschulen und zur Ausweitung des Förderunterrichts. Darüber hinaus wurde die Zahl der Schulbegleitungen verfünffacht, zudem wurde das Beantragungs- und Zuweisungssystem für Schulbegleitungen deutlich vereinfacht, um den Familien die aufwändige Suche nach einer Schulbegleitung abzunehmen und sie deutlich zu entlasten.
Zum Verhandlungsergebnis äußern sich die Regierungsfraktionen:
Andreas Dressel, Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion: „Für den Schulfrieden in unserer Stadt war es wichtig und richtig, einen Volksentscheid zu diesem emotionalen Thema zu vermeiden – das ist uns gemeinsam gelungen. Die Einigung ist gut für Hamburgs Kinder mit und ohne Förderbedarf und sie bedeutet eine deutliche Entlastung der Schulen. Von unserer Einigung profitieren die Grundschulen und ganz besonders die Stadtteilschulen, die schon jetzt herausragende Arbeit für Teilhabe und Chancengleichheit in unserer Stadt leisten. Die Stadtteilschulen erhalten nochmal kräftigen Rückenwind für ihren unverzichtbaren Bildungsauftrag – das stärkt das Zwei-Säulen-Modell insgesamt. Die vereinbarte Bauoffensive Barrierefreiheit wird die Perspektive echter Barrierefreiheit an vielen Schulen nochmal deutlich voranbringen – die inklusive Stadt wird damit in einem ganz wesentlichen Bereich unserer städtischen Infrastruktur noch schneller und noch ganzheitlicher Realität. Mit dem jährlichen Monitoring machen wir die Fortschritte und Handlungsbedarfe noch transparenter sichtbar und nachvollziehbar. Schon jetzt stehen wir im Bundesvergleich im Bereich der Inklusion gut da, wobei nicht verkannt werden soll, dass die schulischen Belastungen und großstädtischen Herausforderungen in diesem Bereich deutlich zugenommen haben. Der Kompromiss wird uns im Bundesvergleich noch weiter nach vorne bringen. Aber es muss auch gesagt werden: Mit der Einigung und den darin enthaltenen Zugeständnissen sind wir an die absolute Schmerzgrenze gegangen – finanzpolitisch ist das Ergebnis nur vertretbar, weil es schrittweise über mehrere Schuljahre eingeführt wird.“
Anjes Tjarks, Vorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion: „Die Einigung mit der Volksinitiative wird die Inklusion in Hamburg weiter verbessern. Wir schaffen für Kinder mit Behinderung noch mehr Wahlfreiheit zwischen Sonderschulen und allgemeinbildenden Schulen. Die Wahlfreiheit wird verbessert, indem Kinder mit Behinderungen zukünftig an den allgemeinbildenden Schulen genauso viel Therapie und Pflege erhalten wie an einer Sonderschule. Ebenso wichtig ist es, dass die Schulen aktuell und auch in ihrer zukünftigen baulichen Entwicklung noch stärker auf die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderung ausgerichtet werden. Darüber hinaus schaffen wir 70 neue Lehrerstellen zur Förderung von Kindern mit Behinderung. Damit sind wir in der Lage, eine durchgängige und qualifizierte Doppelbesetzung am Vor- und Nachmittag zu gewährleisten, wenn drei Kinder mit Behinderung in einer Klasse sind. Mit der Verbesserung der Therapie, der räumlichen Situation und der pädagogischen Unterstützung gelingt uns ein Quantensprung für Kinder mit einer Behinderung und für ihre Eltern an den allgemeinbildenden Schulen. Mit dieser Einigung wollen wir die Stadtteilschule stärken und zum Erfolg führen. Die Stadtteilschulen sind eine starke Säule im Hamburger Schulsystem, die aber auch großen Herausforderungen ausgesetzt ist. Wir werden erhebliche Geldmittel in die Hand nehmen, um Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache oder emotional-soziale Entwicklung zu unterstützen. Aktuell stehen zur Förderung dieser Kinder rund 800 Lehrerstellen zur Verfügung. Wir wollen diese Zahl um 200 auf rund 1.000 Lehrerstellen aufstocken. Das wird in der Summe dazu führen, dass viel mehr Kinder qualitativ hochwertig gefördert werden und deutlich bessere Chancen in der Schule und für das Leben erhalten. Hamburg hat die Quote der Schulabbrecher in den vergangenen Jahren bereits von 11,3 Prozent (2003/2004) auf 6 Prozent (2017) reduziert. Es sollte unser aller politisches Ziel sein, die Quote der Kinder ohne ersten Schulabschluss weiter zu senken. Dafür haben wir mit dieser Einigung eine gute Grundlage gelegt.“
Barbara Duden, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion: „Die Inklusion ist und bleibt eine der zentralen Aufgaben in der heutigen Schulwelt. Sie stellt dabei für alle Beteiligten einen Gewinn, aber auch eine große Herausforderung dar, wird durch sie doch die bisherige Art des Unterrichts in vielerlei Hinsicht berührt. Hamburg hat hier seit 2012 bereits viel getan und mit großem Ressourcenaufwand viele wichtige Weichen gestellt, um jedes Kind in Hamburg angemessen nach seinen individuellen Stärken zu fördern. Gleichzeitig hat sich seit Einführung der Inklusion aber auch die Zahl der erkennbar förderungsbedürftigen Kinder deutlich erhöht. Mit der Volksinitiative hat uns während der gesamten Verhandlungszeit das gemeinsame Ziel einer gelingenden Inklusion geeint. Ich freue mich deshalb, dass es gelungen ist, ein Maßnahmenpaket zu schnüren, das mit dazu beitragen wird, Hamburgs Spitzenposition bei der schulischen Inklusion weiter zu festigen.“
Stefanie von Berg, bildungspolitische Sprecherin der Grünen Bürgerschaftsfraktion: „Inklusion ist ein Menschenrecht. Sie bedeutet gelebte Chancengleichheit und Wertschätzung von Vielfalt. Dafür braucht es neben ausreichenden Ressourcen selbstverständlich auch besondere Konzepte, verschiedene Lernformen und eine grundsätzliche Haltung des pädagogischen Personals. Für eine solide Umsetzung dieser Aspekte setze ich mich seit vielen Jahren ein. Die Vereinbarungen mit der Initiative haben substantielle und weitreichende Verbesserungen hervorgebracht, von der alle Hamburger Grund- und Stadtteilschülerinnen und -schüler profitieren werden. Sowohl Kinder mit Behinderungen als auch mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache oder emotional-sozialer Entwicklungsstörung werden zukünftig angemessen gefördert und gefordert werden können, ohne eine Überforderung der Lehrkräfte in Kauf nehmen zu müssen. Die Mittelzuweisungen, die ab kommendem Schuljahr bereitgestellt werden, sind enorm. Ich bin mir sicher, dass wir das Menschenrecht auf Inklusion so weiter stärken werden.“
 

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