Seit Oktober 2022 hatte die rot-grüne Bezirkskoalition im größten Hamburger Bezirk keine Mehrheit mehr. Wie konnte es dazu kommen?
Ein Gastbeitrag von Marlies Riebe
Nach der letzten Bezirkswahl im Mai 2019 war es zu einer Neuauflage der rot-grünen Koalition gekommen- allerdings unter veränderten Machtverhältnissen: Die Fraktion der Grünen hatte sich auf 15 Abgeordnete vergrößert und damit nur ein Mandat weniger als die SPD mit 16 Mandaten. Nach Ausloten der verschiedenen Koalitionsoptionen hatten sich die Vorstände von SPD und Grüne auf eine erneute Koalition geeinigt und einen Koalitionsvertrag unterzeichnet. Mit 31 von 57 Sitzen in der Bezirksversammlung verfügte die Koalition über eine solide Stimmenmehrheit in Abstimmungen und konnte ihre Arbeit beginnen.
Schon nach der Bürgerschaftswahl 2020 veränderte sich die Zusammensetzung der grünen Fraktion, da etliche gerade neu gewählte Fraktionsmitglieder in die Bürgerschaft einzogen. Im Zuge der dadurch notwendig gewordenen Neuwahl des grünen Fraktionsvorstandes kam es zu einem ersten Austritt auf Seiten der Grünen: Frauke Häger trat aus der Fraktion der Grünen unter Beibehaltung ihres Mandates, welches sie zukünftig als fraktionslose Abgeordnete wahrnahm, aus.
So verfügte die Koalition nur noch über 2 Mandate mehr. Im Oktober dieses Jahres kam es zu einem erneuten Austritt bei den Grünen. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Oliver Schweim aus Rahlstedt, der 2019 auf die Spitzenkandidatur aus familiären Gründen verzichtet hatte und als Nachrücker 2020 in die Fraktion gekommen war, trat ebenfalls aus der Fraktion der Grünen aufgrund unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten aus – unter Beibehaltung seines Mandates, welches er ebenfalls zukünftig als fraktionsloser Abgeordneter wahrnehmen wollte. Damit verfügte die Koalition nur noch über eine Stimme Mehrheit, knapp, aber ausreichend.
Doch schon eine Woche später gab es einen weiteren Aderlass bei den Grünen, als der verkehrspolitische Sprecher der grünen Fraktion nach Ahrensburg zog und damit sein Mandat abgeben musste. Die Nachrückerin bei den Grünen, Maria von Trotha, kein Mitglied der Partei, verweigerte jedoch das Gespräch mit den Abgesandten der grünen Fraktion und teilte ihrerseits mit, das Mandat als fraktionslose Angeordnete wahrnehmen zu wollen.
Damit war die Mehrheit für die Koalition passé, die nun nur noch aus 28 Abgeordneten bestand.
Die SPD bewies in dieser schwierigen Situation Zusammenhalt und Führungsstärke. Ein Sondierungsteam unter Leitung des SPD-Kreisvorsitzenden Andreas Dressel, der Fraktionsspitze der SPD in der Bezirksversammlung (BV) Wandsbek sowie Bürgerschaftsabgeordneten lotete bei den übrigen demokratischen Fraktionen der BV (FDP, CDU, Linke) die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit für die restlichen 1,5 Jahre aus – im Mai 2024 wird die Bezirksversammlung neu gewählt.
Es gab mit allen Parteien gute und auch konstruktive Gespräche, die größte Schnittmenge ergab sich für uns mit der FDP. Nach etlichen Gesprächen stellte sich aber die Unvereinbarkeit zwischen den Positionen der Grünen einerseits und der FDP andererseits, besonders beim Thema Verkehr, heraus – die FDP erteilte der SPD daraufhin eine Absage an das Angebot einer Zusammenarbeit im Bezirk und vergab sich damit letztendlich die Möglichkeit, im Bezirk auch freidemokratische Akzente setzen zu können.
Um die Pattsituation nun zeitnah beenden zu können, wurden Gespräche mit dem fraktionslosen Abgeordneten Oliver Schweim aufgenommen, der signalisiert hatte, er könne sich eine Zusammenarbeit mit der Fraktion der SPD gut vorstellen. Diese Gespräche wurden am vorletzten Wochenende zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht.
Oliver Schweim ist in die SPD eingetreten, im SPD Distrikt Rahlstedt aufgenommen worden und wird zukünftig als weiteres Mitglied die SPD-Fraktion in Wandsbek unterstützen. Die SPD-Fraktion verfügt damit über 17 Mandate, die Grünen über 12 Mandate – zusammen haben wir damit wieder eine Stimme Mehrheit.
Als stellvertertende Fraktionsvorsitzende freue ich mich über den Zuwachs in unserer Fraktion – mit Oliver Schweim gewinnen wir Kompetenz und Sachverstand und sind pragmatisch mit einer Situation umgegangen, die wir nicht verursacht hatten. Selbstverständlich bleibt unsere Hand auch allen anderen demokratischen Fraktionen in der Bezirksversammlung gegenüber ausgestreckt – wir hoffen auf gute Zusammenarbeit und blicken zuversichtlich nach vorne.
Marlies Riebe
Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Wandsbek
Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion
Fachsprecherin Seniorinnen & Senioren
Vorsitzende des Ausschusses für Soziales
Wahlkreis Meiendorf-Oldenfelde
Bild: Copyright E. Liebenow